Luftdichtheit und Feuchteschäden an Gebäuden: War früher alles besser (Fachartikel)

Altbau mit undichten Fenstern und Türen
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Mythos-Auflösung und Argumentationshilfen gegen das Schwelgen in falschen Erinnerungen

Kuscheliges Kaminfeuer, familiärer Zusammenhalt, schimmelfreie Häuser: Im hektischen, agilen Heute werden schnell gute alte Zeiten romantisiert. Auch extrem luftundichte Bauweisen aus dem 19. und 20. Jahrhundert gelten plötzlich als viel besser oder werden sogar als schadensfrei tituliert. Ganz dem Zitat, das dem Kabarettisten Karl Valentin zugeschrieben wird:

„Früher waren sogar die alten Zeiten besser“

Dieser Fachartikel zeigt den Einfluss von bauphysikalischen Phänomenen und Nutzerverhalten auf Innenräume und erörtert dabei die Frage, ob früher tatsächlich alles besser war.

Ehemaliger Kindergarten, Baujahr ca. 1900. Tragwerk und Holzbalkendecke inklusive Balkenköpfe waren bei der Sanierung 2000 schadensfrei. Das Obergeschoss wurde zuletzt als Wohnung benutzt. Einziger Schaden, der erkennbar war: Fußbodenbretter im Erdgeschoss, die auf Lagerhölzer direkt in Sand verlegt waren. Bildquelle: www.bionic3.de

Für die gemeine Volksseele gehören Schimmel und Luftdichtheit zusammen: „Seitdem wir neue Fenster eingebaut haben, schimmelt´s in der Wohnung.“ Der Zusammenhang verhält sich allerdings etwas anders: In undichten Häusern gibt es sehr hohe Wärmeverluste durch Undichtigkeiten und damit Abtransport der warmen, feuchten Luft, sodass der Schimmel oft keine Chance hat. Jedoch ist es nicht die mangelnde Luftdichtheit, die Bauschäden wie Schimmel im Innenraum verhindert. Entscheidend ist, dass die Gebäude früher anders bewohnt wurden.

Altes Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert mit großer Feuerstelle zum Heizen und Kochen. Der bewohnte Bereich umfasste etwa 55 Quadratmeter. Der Rest wurde als Stall benutzt. Die einzige Dämmung war das Stroh, das auf der Decke lag. Gekocht wurde auf einer offenen Feuerstelle, die gleichzeitig die feuchte Raumluft abtransportierte. Bildquelle: Holger Merkel

Bauernhaus, erbaut am Ende des 19. Jahrhunderts: Lebensweise wirkt auf Konstruktion

Bei älteren Bauernhäusern wurde in der Regel nur ein Teil des Hauses intensiv benutzt. Zum Leben diente oftmals nur die Küche, das ausgebaute Dachgeschoss gab es nicht. Falls dort geschlafen wurde, dann oft sogar mit Blick auf die Unterseite der Ziegel. Bei den im Winter vorherrschenden Temperaturen und entsprechender Durchlüftung konnte sich natürlich auch kein Schimmel etablieren. Dazu kommt, dass früher fast immer jemand zu Hause war, das mit dem Lüften hat Mutti geregelt und zwar ohne Lüftungsanlage und ohne App.

Konstruktion wurde weniger mit Feuchtigkeit belastet

Badetag war Samstag, das Duschen wurde erst später erfunden, vom mehrfach täglichen Duschen ganz zu schweigen. Alles in allem wurde also weniger Feuchtigkeit produziert, von der Küche einmal abgesehen. Denn über dem Herd, der zum Heizen und Kochen diente, hing in vielen Bauernhäusern ein Topf, in dem die Suppe tagelang vor sich hin köchelte. Oft wurde die Luft sogar befeuchtet, weil sie als zu trocken galt.

Ein Feuer dieser Größe muss genügend Sauerstoff bekommen. Das bedeutet, dass das Haus undicht sein muss. Raumluft abhängige Feuerstellen – ob offener Kamin oder Holzofen – eliminieren die Luftfeuchtigkeit. Dies schützt vor Schimmel.
Bildquelle: Holger Merkel

Und hier liegt auch schon der Hase im Pfeffer: Mit der Sanierung wird oft der raumluftabhängige Holzofen entfernt, der die entstandene Feuchtigkeit abtransportierte. Damit dieser funktionierte, musste natürlich ein höherer Luftaustausch gegeben sein, also durften die Häuser nicht dicht sein. Aus den vielen Sanierungen der letzten Jahre ist es bekannt, dass der nachträgliche (Wieder-)Einbau eines Holzofens zur Verminderung entstandener Probleme führte, die sich auf zu hohe Luftfeuchtigkeit zurückführen ließen.

Ebenso ist die Wohnraumtemperatur, die als behaglich und angemessen gilt, mit der Zeit gestiegen. Niemand rannte im Winter barfuß im Feinrippunterhemd in der Wohnung herum. Während heutzutage tagsüber die Wohnräume oft mit deutlich über 20 Grad erwärmt sind, waren früher – auch vor 50 Jahren – nur einige Räume punktuell beheizt.

Behaglichkeit steigern, Schimmelrisiko senken

Mit einer energetischen Modernisierung der Wände oder des Daches ergeben sich höhere Oberflächentemperaturen, was zum einen die Behaglichkeit erhöht, zum anderen das Schimmelrisiko senkt.

Holz in den Räumen gleicht Feuchtigkeit aus

Wer die Einrichtung früherer Häuser betrachtet, erkennt, dass viele Materialien hygroskopisch waren. Sowohl der Holzfußboden, als auch Wandoberflächen und Baustoffe, ja sogar Möbel waren in der Lage, Feuchtigkeit aufzunehmen und wieder abzugeben.
Eine typische Wohnungseinrichtung heutzutage sieht hingegen so aus: Möbel aus Pressspan mit kryptischen schwedischen Namen, kunststoffbeschichtete Zimmertüren und Laminatboden mit Pressspanfußleisten. Kunststoffe und Kunstfasern überwiegen bei den restlichen Einrichtungsgegenständen, die für unseren Feuchtehaushalt leider nichts tun können. Über Wohngesundheit reden wir am Besten erst gar nicht.

Relative Luftfeuchte & Schimmel: Bestimmte Bedingungen hinsichtlich Temperatur und Feuchtigkeit müssen gegeben sein, damit der Schimmel sich bilden kann. Die relative Luftfeuchte und die Oberflächentemperatur sind entscheidend, ob Schimmel entsteht oder nicht.
Bildquelle: wissenwiki.de
Schimmel in einem älteren, nicht regelmäßig genutzten Haus: Meist bildet sich Schimmel erst im Frühjahr, wenn warme, feuchte Luft eindringt und nicht gleichzeitig beheizt und gelüftet wird. Auch im Sommer kommt es in ungenutzten Häusern zu Problemen, erkennbar am modrigen Geruch. Bildquelle: Holger Merkel

In alte Zeiten eintauchen: Freilandmuseen

Wer mehr über ältere Häuser und Lebensweisen erfahren möchte, sollte eine Reise in eines der vielen Freilandmuseen unternehmen. Hier findet man originalgetreu wiederhergestellte Häuser inklusive Inneneinrichtung, die typisch für die jeweilige Region sind. In manchen hat man den Eindruck, die Bewohner wären gerade vom Essen aufgestanden und sind nur kurz raus.

Schimmelgefahr bei ungenutzten Räumen

Man kann vor allem aber auch erkennen, welche Häuser aktuell benutzt werden (Gastronomie, Büroräume). Schäden an Oberflächen entstehen oft in ungenutzten Gebäuden, vor allem im beginnenden Frühling. Die Oberflächentemperaturen steigen nur moderat, aber für Schimmel ausreichend. Zudem steigt die Luftfeuchte oft durch Eintrag von außen. Damit es zu Schimmelerscheinungen kommt, sind mehrere Faktoren entscheidend: Temperatur, Luftfeuchte und ein entsprechender Untergrund.

Schlüssel gegen Feuchteschäden: Holzofen und Kamineffekt

Bei Holzbauten älterer Häuser dominiert in vielen Regionen das Fachwerk. Hier ergeben sich Undichtheiten vor allem im Bereich der Holzverbindungen. Doch warum kam es hier nicht unbedingt zu Schäden durch Konvektion?
Zum einen ist bekannt, dass ein durchgängiges Loch in der Gebäudehülle zwar zu einer Abkühlung des umgebenden Bereiches führt, aber nicht zwingend zu einem Schaden.

Ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Luftdichtheit ergibt sich bei alten Häusern durch die Geschossdecken. Bei Betondecken besteht diesbezüglich keine Gefahr. Anders bei Hohlsteindecken und Holzbalkendecken – meist mit Blindboden. Hier besteht normalerweise eine direkte Verbindung nach außen entlang der Hohlräume und der Balkenauflager. So konnte die warme, feuchte Luft nahezu ungehindert entweichen oder eben eintreten, je nach Lage der Decke zur druckneutralen Ebene.

Schädlinge wie Käfer finden sich übrigens in vielen Blindböden der obersten Geschossdecken. So richtig aktiv werden sie aber erst, wenn gedämmt und geheizt wird und ausreichend Luftfeuchte vorhanden ist. Das heißt: nach der Sanierung.

Ganz entscheidend, ob eine Undichtheit in der Gebäudehülle (Leckage) für die Konstruktion gefährlich werden könnte, ist deren Lage im Gebäude. Bei einem beheizten Haus herrscht im Erdgeschoss in der Regel ein Unterdruck und in den oberen Bereichen ein Überdruck. Die Erklärung: Der Luftdruck nimmt außen schneller ab als innen. Ungefähr auf halber Höhe des Gebäudes liegt die druckneutrale Ebene, in der es keinen Druckunterschied zwischen innen und außen gibt. Der wichtigste Aspekt ist nun, auf welcher Seite der druckneutralen Zone sich das Loch in der Gebäudehülle befindet. Bildquelle: MOLL pro clima

Gebäude aus den 1950er Jahren

Häuser der Wiederaufbaujahre sind vielen Zimmerern aus Sanierungen bekannt. Diejenigen Häuser, die sich allerdings als sehr undicht in unseren Köpfen festgesetzt haben, sind vor allem die ausgebauten Dachgeschosse der Do-it-yourself-Welle der 1970er Jahre.

Rollisol und Nut-Federbretter waren die meistgebrauchten Begriffe, wenn es um Wohnraumerweiterung im Einfamilienhaus ging. Auch hier musste laut Hersteller verklebt und an angrenzende Bauteile angeschlossen werden, was aber kaum jemand berücksichtigte. Was dabei herauskam, ist für die heutigen Vorstellungen schlicht unbewohnbar: im Winter zu kalt, im Sommer zu heiß.

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Sehen wir einmal von Fenstern und Türen ab, die natürlich undicht waren, stellen wir fest, dass sich vor allem im Bereich der Wände und Decken wenig verändert hat. Verputzte Schichten gelten auch heute noch als luftdicht. Blower-Door-Messungen alter Häuser vor der Sanierung erzielen oft bessere Werte als danach. Das liegt daran, dass vormals luftdichte Decken und Wände aufgerissen und als Installationsschächte benutzt, danach aber nur mit Gipskarton verkleidet werden.

Auch bei diesen Häusern wurde nur ein Teil der Räume beheizt. Das Schlafzimmer oftmals gar nicht, der Fokus lag auf Küche und Wohnzimmer. Es war bekannt, dass Möbel zu den Außenwänden Abstand einhalten mussten, um der Gefahr von Schimmelbildung vorzubeugen. Hier dominierten undichte Fenster und raumluftabhängige Einzelöfen. Die Lage änderte sich erst mit dem Einbau von „Isolierglasfenstern“ und Zentralheizung. Aber es gab ja noch Mutti, die das mit dem Lüften geregelt hat. Bei vielen heutigen Streitereien bezüglich Schimmel und Lüftung wird dagegen immer wieder angeführt, dass tagsüber niemand zu Hause ist und somit auch nicht gelüftet wird.

Die Frage, ob es früher weniger Schäden in den Innenräumen gab, kann nicht hinreichend geklärt werden. Damals wie heute sind die meisten Phänomene bauphysikalisch erklärbar und mit ein wenig Nachdenken auch in den Griff zu bekommen.

Es kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass es früher weniger Gutachter und Rechtsanwälte gab. Es bleibt abzuwarten, wie künftige Generationen über unsere heutigen Konstruktionen und unser Nutzerverhalten urteilen werden.

Fakt ist, die Wohnqualität war sicherlich nicht besser als heute: Es zog an allen Ecken. Die jetzigen Zeiten, in denen die Häuser fast auf Passivhausniveau gebaut werden, sind komfortabler, die Raumluft ist besser, und dass junge Erwachsene immer länger zu Hause wohnen bleiben, auch ein Zeichen für familiäres Wohlbefinden.
Wer sich beim Bauen und Planen an die gängigen Normen und den aktuellen Stand der Technik hält, schafft Wohn- und Arbeitsgebäude, die zum Wohlfühlen einlade
n. Denn:

„Heute ist die gute alte Zeit von morgen.“

Karl Valentin

Dieser Artikel von Holger Merkel wurde zuerst in der September-Ausgabe 2019 der Fachzeitschrift Der Zimmermann (Rudolf Müller Verlag) publiziert.
https://www.bauenmitholz.de/aktuelle-ausgabe/158/6136/

Autor der Artikelserie: Holger Merkel

Holger Merkel: Blower-Door-Messdienstleister, Fachkraft für Differenzdruckmesstechnik (HwK) und Dozent

Holger Merkel ist Blower-Door-Messdienstleister, Fachkraft für Differenzdruckmesstechnik (HwK) und Dozent. Mit seinem Team führt er mehr als 400 Messungen im Jahr durch. Er supportet auch andere Messteams mit seinem Wissen. Sein Know-How gibt er in Vorträgen, Seminaren und Blower-Door-Ausbildungen weiter. Zudem ist er Gastgeber des Podcasts von Luftdichtheit-geprüft.de

Kontakt: hm@bionic3.de Büro: 07272-927385 Mobil: 0171/706 1344
Blower-Door-Ausbildungen: blowerdoor-spezialisten.de
Blower-Door-Messungen, Geräte und Support: www.bionic3.de


Mehr zu diesem Thema erfahrt ihr in unserem Podcast: https://luftdichtheit-geprüft.de/podcast/podcast-11-frueher-alles-besser/

Über den Autor

Holger Merkel

Holger Merkel ist Blower-Door-Messdienstleister, Fachkraft für Differenzdruckmesstechnik (HwK) und Dozent. Mit seinem Team führt er mehr als 400 Messungen im Jahr durch. Er supportet auch andere Messteams mit seinem Wissen. Einer seiner Schwerpunkte ist die Messung mit mehreren Geräten. Sein Know-how und seine Erfahrungen gibt er in Vorträgen, Seminaren und Blower-Door-Ausbildungen weiter. Auf luftdichtheit-geprüft.de publiziert er Fachartikel zu Luftdichtheit und Blower-Door-Messungen sowie Bilder zu Leckagen, Bauschäden und Kuriositäten. Im Podcast spricht er Klartext zu Luftdichtung und Qualität am Bau. Unter dem Motto Zieht wie Hechtsupp' dokumentiert er Leckagen, erklärt, wie sie entstanden sind, wie sie ausgebessert werden und wie sie beim nächsten Bauprojekt verhindert werden können.